Warum durch körperliche Aktivität nicht nur die Lebenserwartung erhöht wird, sondern auch anti-depressive Effekte erzielt werden, mentale Leistungen gesteigert werden können und noch viele andere positive Auswirkungen auftreten, wurde in den letzten Jahren intensiv erforscht. Körperliche Aktivität, insbesondere Gehen und Rennen, führt zur Ausschüttung eines hocheffizienten „Medikamentenmix“, der im ganzen Körper wirksam wird.
Substanzen, die von Muskeln während der Bewegung ausgeschüttet werden, haben eine entzündungshemmende, Knochen stärkende, neuroprotektive, und neuroregenerative Wirkung und sind außerdem gut für die psychische Stabilität. Dies stellt einen Paradigmenwechsel in der Einschätzung der Bedeutung von Muskeln für die Gesundheit dar, die viel mehr sind als Hebelmaschinen und auch als Drüsen betrachtet werden müssen, die sogenannte „Myokine“ (aus dem griechischen „Mys“: Muskel und „kinos“: Bewegung) ausschütten. Hier werden ein paar dieser Hormone und Signalmoleküle aufgelistet, die bei Bewegung eine physiologische Rolle spielen.
PGC-1α („peroxisome proliferator-activated receptor-γ co-activator“)
PGC-1α, das vor allem bei Ausdauer-Sportarten ausgeschüttet wird, stimuliert die Bildung von Mitochondrien (die „Kraftwerke der Zellen“, in denen Zucker und Sauerstoff in Energie umgewandelt wird) und fördert die Bildung von Muskel Gewebe mit einer Faser Komposition, die metabolisch mehr oxidativ und weniger glycolytisch arbeitet. Somit wird der Muskel leistungsfähiger, da er bei einer oxidativen Verbrennung wesentlich mehr Energie aus derselben Menge an Nährstoffen gewinnen kann als er es bei einer glycolytischen kann. PGC-1α spielt auch eine Schlüsselrolle im Kohlenhydrate und Fett Metabolismus.
Es wird vermutet, dass PGC-1α bei Stoffwechselerkrankungen eine Schlüsselrolle spielt, da es entzündungshemmend wirkt und viele Stoffwechselerkrankungen von chronische Entzündungen begleitet sind. Immunzellen dringen in Muskelgewebe ein, und bewirken dort, wenn nicht eine tatsächliche Entzündung durch eine Infektion oder Muskelkater vorhanden ist z.B. eine steigernde Intoleranz zu Insulin, wodurch Muskeln immer weniger Zucker aus den Blutgefäßen aufnehmen, was früher oder später zu Diabetes führt. PGC-1α verhindert außerdem Muskelabbau. Studien haben gezeigt, dass niedrige PGC-1α Konzentrationen, wie sie z.B. nach längerem Aufenthalt im Krankenhaus auftreten, den Abbau von Muskelzellen bewirken. (Pedersen, B. K. (2009). The diseasome of physical inactivity–and the role of myokines in muscle–fat cross talk. The Journal of physiology, 587(Pt 23), 5559–68)
BDNF („brain-derived neurotropic factor“)
Durch Bewegung wird unter anderem vermehrt BDNF im Gehirn gebildet. BDNF wirkt auf verschiedene Zellen des zentralen und peripheren Nervensystems. Es fördert das Wachstum neuer Neuronen und Synapsen und wirkt beim Schutz von existierenden. Eine weitere Rolle übernimmt es in vielen Arealen der Großhirnrinde wie dem Hippocampus und dem Vorderhirn. Hierbei handelt es sich um Regionen, die für Gedächtnisleistungen und abstraktes Denken wichtig sind. BDNF hat zudem Einfluss auf das Langzeitgedächtnis, kann anti-depressiv wirken und verbessert die Wirkung von Anti-Depressiva. In einigen Studien wurde gezeigt, dass ein bewegungsreicher Lebensstil die Wahrscheinlichkeit an neurodegenerativen Erkrankungen – wie z.B. Alzheimer oder Demenz – zu erkranken verringert und Depressionen vorbeugt. (Brandt, C. and Pedersen, B. K. (2010). The role of exercise-induced myokines in muscle homeostasis and the defense against chronic diseases. Journal of biomedicine & biotechnology, 2010:520258 und Cotman, C. W., Berchtold, N. C., and Christie, L.-A. (2007). Exercise builds brain health: key roles of growth factor cascades and inflammation. Trends in neurosciences, 30(9):464–72.)
VEGF („vascular endothelial growth factor“)
Bei intensiver Anstrengung, sowohl durch Erhöhung der Leistung (Geschwindigkeit beim Laufen/Rennen) als auch durch Erhöhung des Arbeitsvolumen (zurückgelegte Strecke beim Laufen/Rennen) werden vermehrt Zellen im Körper mit Sauerstoff unterversorgt. Dies bewirkt bei den betroffenen Zellen die Produktion von VEGF („vascular endothelial growth factor“). VEGF stimuliert Blutgefäße sich zu verzweigen, besonders in Richtung ansteigender VEGF Konzentration (in Richtung der Zellen, die Sauerstoff unterversorgt sind). Durch die daraus resultierende Verbesserung der Durchblutung werden Muskeln, aber auch Nervenzellen leistungsfähiger. Außerdem treten noch viele zusätzliche positive Effekte bei der Verbesserung der Durchblutung auf: Normalisierung von Blutdruck, Reduzierung des Ruhepulses, geringere Sensitivität gegenüber Kälte und Hitze, usw. (Czarkowska-Paczek, B., Bartlomiejczyk, I., and Przybylski, J. (2006). The serum levels of growth factors: PDGF, TGF-beta and VEGF are increased after strenuous physical exercise. Journal of physiology and pharmacology : an official journal of the Polish Physiological Society, 57(2):189–97 und Cotman, C. W., Berchtold, N. C., and Christie, L.-A. (2007). Exercise builds brain health: key roles of growth factor cascades and inflammation. Trends in neurosciences, 30(9):464–72.)
IL-6 („interleukin 6“) / TNF-α („tumor necrosis factor alpha“)
Durch intensiven Sport werden auch Interleukine (vor allem IL-6) von den Muskelzellen an die Blutgefäße abgegeben, wodurch es im ganzen Körper das Immunsystem moduliert und gestärkt wird.
Bei langer Inaktivität sammeln sich Interleukine und TNF-α in Muskeln an und verursachen dort chronische Entzündungen, die wie oben bereits erwähnt, z.B. die Resistenz zu Insulin steigeren und somit zu Diabetes führen können. (Pedersen, B. K. (2009). The diseasome of physical inactivity–and the role of myokines in muscle–fat cross talk. The Journal of physiology, 587(Pt 23), 5559–68)
IGF-1 („insulin-like growth factor 1“)
IGF-1 ist ein weiteres Hormon, das bei regelmäßiger Bewegung vermehrt gebildet wird. Die Synthese von Skelettmuskel-Proteinen und Myelin (Membran, die Nervenzellen umgibt) wird durch IGF-1 stimuliert, dadurch werden sowohl Muskeln als auch Zellen des zentralen Nervensystems zur Regeneration angeregt. Das resultiert unter anderem in einer Verlangsamung des Alterungsprozesses von Hirn und Muskeln. Außerdem wurde gezeigt, dass erhöhte IGF-1 Konzentrationen sowohl die Anzahl der spontanen Nervenimpulse erhöht als auch die Sensitivität von Nervenzellen verbessert wird. (Cotman, C. W., Berchtold, N. C., and Christie, L.-A. (2007). Exercise builds brain health: key roles of growth factor cascades and inflammation. Trends in neurosciences, 30(9):464–72. und Castellano, V. and White, L. J. (2008). Serum brain-derived neurotrophic factor response to aerobic exercise in multiple sclerosis. Journal of the neurological sciences, 269(1-2):85–91)
DOMS („delayed onset muscle soreness“)
Muskelkater treten nach besonders intensivem Training auf, wenn man (annähernd) die maximale Leistung eines Muskels abgerufen hat. Muskelkater wurden lange als Warnzeichen des Körpers verstanden beim nächsten Training weniger intensiv zu trainieren. Mittlerweile weiß man aber, dass Muskelkater wichtig und sogar gesund für den Körper sind und nichts mit einer Ansammlung von Milchsäure in den Muskelfasern zu tun hat, weswegen Mediziner heute statt Muskelkater „DOMS“ als Abkürzung für den englischen Fachbegriff verwenden.
Ein Muskelkater tritt dann auf, wenn der betroffene Muskel aufgrund hoher Trainings-Intensität verletzt wurde. Ein Muskel besteht aus mehreren Fleischfasern (auch Sekundärbündel) und Bindegewebe. Jede Fleischfaser unterteilt sich in mehrere Faserbündel (auch Primärbündel), die zueinander verschiebbar gelagert sind, damit der Muskel biegsam und anschmiegend ist. Diese Faserbündel sind eine Vereinigung von bis zu zwölf Muskelfasern. Eine Muskelfaser ist 40 – 80 µm dick, etwa so dick wie ein menschliches Haar und einige von diesen bekommen Risse nach intensivem Training.
Die schwächsten Fasern reißen zuerst und werden bei einem Muskelkater regeneriert und stärker. Wichtig ist hier die Dosierung. Dauert ein Muskelkater länger als 24 Stunden war das Training zu intensiv und zu viele Fasern sind gerissen. Um dem Muskel Zeit zur Erholung zu geben, sollte man warten bis der Muskelkater abgeklungen ist bevor man wieder das Training aufnimmt.
Der Muskelkater ähnelt einer Entzündung. Nachdem einige Muskelfasern gerissen sind, dringt vermehrt Wasser in den Muskel ein und er schwillt an. Mit dem Wasser dringen auch Immunzellen in den Muskel ein, die die bei den Rissen entstandenen Abfallprodukte aus dem Muskel entfernen. Verlassen diese den Muskel, kommen sie mit Nervenzellen in Kontakt und es entstehen die für den Muskelkater typischen Schmerzen (in der Regel 12 – 24 Stunden nach dem Training), die nach etwa 24 Stunden wieder abklingen (36 – 48 Stunden nach dem eigentlichen Training).
Bei der Heilung des Muskels wird vermehrt VEGF, PCG-1α (siehe oben) und PDGF von den Muskelzellen ausgeschüttet. PDGF bewirkt die Heilung von Wunden durch Stimulation zur Zellteilung und Zellwachstum, wodurch die Risse wieder geschlossen werden und der Muskel wächst.
Zur Vorbeugung gegen Muskelkater wird häufig empfohlen die betroffenen Muskeln nach dem Sport mit kaltem Wasser zu behandeln. Obwohl Kaltwasser Anwendungen nach dem Sport die Dauer und Intensität von Muskelkater häufig senken, ist die optimale Anwendung und die Sicherheit dieser Technik auf Grund fehlender Daten noch nicht bekannt (Bleakley, C., McDonough, S., Gardner, E., Baxter, G. D., Hopkins, J. T., & Davison, G. W. (2012). Cold-water immersion (cryotherapy) for preventing and treating muscle soreness after exercise. The Cochrane database of systematic reviews, 2, CD008262.)
In den letzten Jahren ergaben diverse Studien, dass der Muskel mehr als nur ein Motor ist, der ein Skelett bewegt. Muskeln sind Drüsen, die bei Bewegung eine ganze Reihe von Substanzen an den Körper abgeben und damit verschiedene physiologische Vorgänge des Körpers stimulieren. Diese Substanzen wirken wie Medikamente, die der menschliche Körper bei Bewegung ausschüttet, um Krankheiten wie z.B. Alzheimer, Diabetes, Osteoporose und vielen mehr vorbeugen.